CorporAid: Von der Fritteuse in den Tank

Ein Bericht von corporAID - Die österreichische Plattform für Wirtschaft, Entwicklung und globale Verantwortung

Blitzblank erstrahlt der Boden des UCO Collection Point der Firma Münzer Bioindustrie. Und das nicht wegen der mit Stift und Kamera bestückten Gäste, sondern weil hier immer frisch gewischt ist. Auch was den Geruch angeht, ist der Besuch äußerst harmlos, wenn man bedenkt, dass hier Tag für Tag 200 Abfalltonnen Altspeisefett – UCO steht für Used Cooking Oil, also Altspeisefette und -öle – verarbeitet werden. Nur wenn ein Mitarbeiter eine der angelieferten Tonnen zu Vorführzwecken öffnet, fühlt man sich olfaktorisch ins Freibadbuffet der Kindheit zurückversetzt, in dem es mit dem regelmäßigen Tausch des Frittieröls nicht immer so genau genommen wurde.

Hier im Wiener Werk von Münzer Bioindustrie werden die von Betrieben unterschiedlicher Größe – von Gastroketten wie McDonald’s über bekannte Restaurants wie das Wiener Plachutta bis hin zu Würstelständen – eingesammelten Altspeisefette etwa 24 Stunden lang erwärmt und danach in silber funkelnden Anlagen aufbereitet. Das von vereinzelten Pommes, Plastikgabeln und anderen kleinen Überraschungen befreite Altspeiseöl fließt durch beheizte Leitungen in große Kessel, in denen es mit Methanol vermischt wird. Heraus kommt Biodiesel oder chemisch gesprochen: Fettsäuremethylester, ein umweltschonender Kraftstoff, der wie fossiler Diesel einsetzbar ist. Und der einen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel leisten kann: Aus einem Liter Altspeisefett entsteht etwa ein Liter Biodiesel – und mit dessen Verbrennung lassen sich im Vergleich zu fossilem Diesel circa drei Kilogramm CO2 einsparen.

Das im steirischen Sinabelkirchen beheimatete Unternehmen Münzer Bioindustrie produziert rund 220 Millionen Liter Biodiesel jährlich, davon 140 Millionen im Ölhafen Lobau am Rande Wiens. Zwischen einem Naherholungsgebiet und dem Nationalpark Donau-Auen gelegen, bietet der Standort den großen Vorteil, dass der Biodiesel nicht nur per LKW, Zug und Schiff, sondern auch per Direktpipeline zum Hauptabnehmer, der OMV, transportiert werden kann.

Vorreiter bei flüssigem Abfall
Ewald Münzer gründete das Unternehmen 1991 und war damit ein Pionier bei der Verwertung flüssiger Abfälle, wie sein Sohn Ewald-Marco Münzer sagt, der die Firma heute gemeinsam mit Bruder Michael führt: „Was das Bewusstsein für die Abfallverwertung anbelangt, ging es in Österreich in den 1980er Jahren erst einmal um feste Abfälle, nämlich um die getrennte Sammlung und Wiederverwertung von Papier und Glas.“ Für den damals aufkeimenden Kreislaufwirtschaftsgedanken habe die Verwertung von Flüssigkeiten noch keine Rolle gespielt, allerdings seien bald konkrete logistische Fragen aufgekommen: „Altspeiseöle konnte man nicht einfach deponieren, selbst Kläranlagen waren damit überfordert. Es mussten also neue Verwertungslinien aufgetan werden“, erinnert sich Ewald-Marco Münzer zurück. Fußend auf Forschungen an der Karl-Franzens-Universität in Graz entwickelte Münzer dann eine bis heute angewendete Technologie, um aus Altspeisefetten und -ölen einen alternativen Energieträger herzustellen.

Dies war für Münzer Bioindustrie der Startpunkt einer rasanten Entwicklung, die 2006 in der Errichtung von Österreichs größter Biodieselproduktionsanlage im Ölhafen Lobau ihren bisherigen Höhepunkt fand. Seitdem produziert Münzer jährlich zig Millionen Liter Biodiesel, der in Österreich konventionellem Diesel zu sieben Prozent beigemengt wird. Über eine Erhöhung auf zumindest zehn Prozent wird seit Jahren debattiert. Laut Ewald-Marco Münzer wäre dies sowohl technisch als auch wirtschaftlich problemlos machbar. So fahren die LKW, die für McDonald’s unterwegs sind, ausschließlich mit Biodiesel. Die Nachfrage nach Münzer-Biodiesel steigt aber auch so seit Jahren kontinuierlich an: Der Umsatz des Unternehmens hat sich binnen fünf Jahren auf 430 Mio. Euro mehr als verdoppelt.

Münzer bietet ein breites Portfolio
Allerdings speist sich dieser Umsatz nicht ausschließlich aus dem Hauptprodukt Biodiesel. Im Produktionsprozess fallen auch Nebenprodukte an, etwa Kaliumsulfat, das in der Düngemittelindustrie Verwendung findet, oder Pharmaglycerin, das letztlich als Frostschutz in der Scheibenwischanlage oder im Desinfektionsmittel landet. Letzteres Beispiel für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft dürfte nicht wenige überraschen – wer wusste schon, dass das Fläschchen mit der stechend riechenden Flüssigkeit, das in den vergangenen Pandemiejahren zum ständigen Begleiter geworden ist, womöglich weiterverwertetes Fett aus den Fritteusen von McDonald’s enthält?

Zukünftig will Münzer auch die in der Produktion abfallenden festen Bioabfälle, etwa Semmelbrösel, selbst weiterverwerten und in Biogas verwandeln. Die Pläne für die Errichtung einer firmeneigenen Biogasanlage im niederösterreichischen Pillichsdorf sind bereits fortgeschritten. Sobald der Genehmigungsprozess für das 40-Millionen-Euro-Projekt abgeschlossen ist, kann gebaut werden, mit der Produktion will Münzer Ende 2024 starten. Das Besondere daran: In den 300 aktuell in Österreich betriebenen Biogasanlagen wird das erzeugte Biogas fast durchgehend in Strom umgewandelt. Nur 15 von ihnen sind technisch in der Lage, Biogas in der Qualität von Erdgas zu erzeugen, das direkt ins Gasnetz eingespeist werden kann. Auch die Münzer-Anlage in Pillichsdorf soll dies leisten können. „Die gesamte Industrie steht an einer Schwelle. Es werden auch Verfahren entwickelt, durch die Biomethan perspektivisch als synthetischer Kraftstoff genutzt werden kann“, verrät CEO Münzer.

Mit der im Jänner getätigten Ankündigung der österreichischen Bundesregierung, dass die Biogas-Produktion im Zuge der Erneuerbaren-Offensive bis 2030 auf jährlich mehr als zehn Milliarden Kilowattstunden verzehnfacht werden soll, ist das Thema auch politisch en vogue. Münzer lässt dies jedoch eher kalt: „Vor rund fünf Jahren hieß es noch, man wolle staatlich ganz aus dem Thema Biogas aussteigen, nun wird es politisch gepusht. Für uns war und ist jedoch nicht entscheidend, ob Biomethan in staatliche Förderprogramme aufgenommen wird oder nicht. Wir brauchen lediglich stabile Rahmenbedingungen.“

Münzer beugt Herzinfarkten vor
Das Unternehmen wächst nicht mehr nur in Österreich. In den vergangenen Jahren wurden neben den bereits bestehenden Standorten in Europa neue Werke in Mumbai (2016), Dhaka (2020) und Nairobi (2021) eröffnet. Ewald-Marco Münzer spricht von einer „im Grunde ungeplanten Internationalisierung“. So begann das Indiengeschäft eher zufällig, als im Zuge einer OPEC-Konferenz eine vom indischen Energieminister angeführte Delegation eine österreichische Biodieselanlage besichtigen wollte. Die Kontaktaufnahme erfolgte über die Botschaften, zwei Tage später führte Ewald-Marco Münzer die indischen Besucher durch die Anlage im Ölhafen Lobau.

„Der Minister lud uns dann nach Indien ein, um uns die Marktgegebenheiten zu zeigen. Dabei wurde uns klar, dass das Interesse der Inder nicht vorrangig dem alternativen Energieträger Biodiesel, sondern der Verarbeitung des abfallbasierten Rohstoffes galt“, berichtet Münzer. Denn anders als in Europa handle es sich in Indien nicht nur um ein energie-, sondern vor allem auch um ein gesundheitspolitisches Thema. Dort sei es üblich, dass Speiseöle immer wieder neu benutzt werden, sodass etwa Hotelangestellte die verwendeten Fette und Öle mit nach Hause nehmen, um sie neuerlich zum Kochen einzusetzen. Die wiederholte Erhitzung der Fette führe aber zu einer erhöhten Dioxinbelastung, so Münzer, die sich in hohen Herzinfarktraten bei unter 30-Jährigen in vielen Entwicklungsländern niederschlage.

„Die indische Regierung hat das schon vor längerem erkannt. Klar war aber auch: Wenn man etwa den Lokalen vorschreibt, dass sie die Altspeiseöle als Abfall und nicht als Lebensmittel titulieren, muss man ihnen auch ein entsprechendes Sammelsystem bieten – sonst wird unsachgemäß über die Kanalisation entsorgt. Und hierbei kamen wir ins Spiel“, berichtet Münzer. Aktuell liegt der Fokus auf dem Ausbau des bereits etablierten Sammelsystems in und rund um Mumbai. Peu à peu soll auch – sobald der entsprechende Markt samt Rechtsrahmen dafür gegeben ist – die noch eher kleine Produktionsanlage zur Erzeugung von Biodiesel ausgebaut werden. „Indien bereitet sich akribisch auf die Beimengung von Biodiesel zu fossilem Diesel vor, doch so etwas geht angesichts der komplexen Marktmechanismen, die dahinterstecken, nicht von heute auf morgen. Die erste EU-Richtlinie zur Beimengung von Biokraftstoffen ist mehr als 20 Jahre alt“, sagt Münzer. Letztlich müsse für den Aufbau von Produktionsanlagen erst einmal der Rohstoff sichergestellt werden: flüssige Abfälle. Habe man eine kritische Menge erreicht, um den Betrieb der Anlagen zu gewährleisten, könne man den nächsten Schritt der Verarbeitung angehen.

Lebensmittel oder Abfall?
Im Jahr 2020 folgte der Schritt ins Nachbarland Bangladesch, wo Münzer ebenfalls ein Sammelsystem startete. Und ein Jahr später eröffnete Münzer eine Niederlassung in Kenia – nachdem die kenianische Lebensmittelbehörde auf das steirische Unternehmen zugekommen war. „Wir waren uns bewusst, dass der Schritt nach Afrika eigentlich einige Jahre zu früh kommt. Doch es bot sich uns eine einmalige Gelegenheit, die wir einfach nutzen mussten“, sagt Ewald-Marco Münzer. Und letztlich seien sowohl die Herausforderungen als auch das wachsende Bewusstsein für das Thema in Kenia und Südasien recht ähnlich. Entscheidend, ob ein Markt für Münzer in Frage komme oder nicht, sei vor allem „die Grundfestlegung der jeweiligen Verwaltungsbehörde: Ist das gebrauchte Speiseöl ein Lebensmittel oder ein abfallbasierter Rohstoff?“

In den nächsten Jahren heißt es für Münzer erst einmal, die Standorte in Indien, Bangladesch und Kenia zu stabilisieren und auszubauen. Als Zukunftsmarkt nennt der CEO neben einer anvisierten stärkeren Präsenz in Osteuropa auch Ghana, das sich Mitarbeiter seines Unternehmens kürzlich im Rahmen einer Fact Finding Mission angeschaut haben. „In Ghana wird das Thema der Verwertung fester Abfälle seit einigen Jahren verstärkt vorangetrieben. Und nun ziehen die flüssigen Abfälle nach. Die Lebensmittelbehörde hat zumindest schon einmal ein Bewusstsein dafür“, so Münzer. Auch dort könnte er sich vorstellen, mit einem kalkulierbaren Risiko ein Sammelsystem aufzubauen und fußend auf den entsprechenden Erfahrungen Investitionsentscheidungen für industrielle Anlagen zu treffen.

Münzer bleibt beweglich
Die politische Entwicklung in Europa verfolgt Münzer aus der Nähe. So könnte dem langsamen Aufbau einer Nachfrage nach Biodiesel als alternativem Energieträger in Entwicklungsländern ein dramatischer Rückgang in Europa gegenüberstehen. Die EU hat sich auf ein Gesetz geeinigt, dass ab 2035 keine neuen Benzin- oder Dieselfahrzeuge mehr verkauft werden sollen. Eine vollständige Elektrifizierung des motorisierten Verkehrs hieße aber auch, dass das Interesse an Biodiesel als Beimischung erlöschen würde. Ewald-Marco Münzer lehnt ein Verbrennerverbot ab: „Wir stehen für Ergänzen und nicht für Ersetzen. Wir glauben also, dass wir alle verfügbaren Varianten an alternativen Energieformen brauchen werden, um substanziell zu dekarbonisieren. Elektromobilität ist wichtig, aber es gibt auch systemische Grenzen, die anerkannt werden müssen.“ Schlaflose Nächte habe er wegen des Themas aber keine: „Es wird nach wie vor viele Sektoren geben, die von Biodiesel profitieren, etwa der Schwerverkehr oder der Nutzfahrzeugbereich, perspektivisch wohl auch der Schiffsverkehr.“

Dass Münzer keine Angst vor dem Siegeszug des E-Autos hat, zeigt auch das neueste Tochterunternehmen namens epuls. Auf dieser Online-Plattform können sich österreichische Elektroautobesitzer, denen aufgrund einer Übererfüllung der EU-Richtlinien für E-Autos Prämien zustehen, registrieren. Münzer zahlt ihnen die entsprechenden Prämien aus und handelt im Gegenzug mit den von den Nutzern erworbenen Dekarbonisierungsquoten. „Auch wenn Elektromobilität bis dato kein Kernthema von uns war, haben wir gesagt: Dieser Zug rollt an, entweder wir steigen ein oder wir lassen ihn vorbeiziehen. Wir gehören zwar nicht zum Chor der Glorifizierer, aber auch wir besitzen E-Fahrzeuge, bauen Ladestationen. Wenn man es unter dem Blickwinkel der Technologieoffenheit – oder besser: Technologiediversität – sieht, hat jede erneuerbare Energieform in einem gewissen Ausmaß ihre Berechtigung“, so Münzer.

Panta rhei
Und so ist bei Münzer Bioindustrie nicht nur wegen des Standorts der großen Produktionsanlage direkt an der Donau alles im Fluss. Auch was Produkte, Geschäftsmodelle und Auslandsmärkte angeht, reagiert das Unternehmen schnell auf Bedürfnisse der Kunden und Veränderungen in der Branche. Unverrückbar ist für Chef Ewald-Marco Münzer lediglich der klare Nachhaltigkeits- sowie Kreislaufwirtschaftsfokus des Unternehmens: „Nachhaltigkeit ist bei uns nicht nur ein Textbaustein in einer Vision, sondern der Kern all dessen, was wir tun.“

 

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